Wehrrechtliches Kolloquium mit aktuellen Themenstellungen am 24.05.2023 in Mannheim
von Regierungsdirektorin Britta Krings, Köln
Das von der Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht e.V. (DGWHV) am 24.05.2023 an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung – Fachbereich Bundeswehrverwaltung – in Mannheim veranstaltete wehrrechtliche Kolloquium nahm sich vier aktuellen Themen an, die im Rahmen von Vorträgen und den anschließenden Diskussionen dargestellt und mitunter kontrovers besprochen wurden. Die Veranstaltung, im Schwerpunkt organisiert durch Ministerialrat Dr. Christian Raap und Professor Dr. Philipp-Sebastian Metzger, stellt ein neues Format neben den bewährten zweitägigen Jahrestagungen dar und hatte sich zum Ziel gesetzt, eine Brücke zu schlagen zwischen den nur in bestimmten Abständen möglichen Jahrestagungen, um so die inhaltliche Arbeit der DGWHV fortzusetzen und zu intensivieren.
Zunächst wurde die Veranstaltung durch Ministerialdirigent Stefan Sohm, den Vorsitzenden der DGWHV, eröffnet und anschließend das Auditorium durch Ministerialrat Dr. Raap begrüßt und auf die Veranstaltung eingestimmt. Hier wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die DGWHV gerne in regelmäßigen, etwas kürzeren Abständen aktiv sein möchte, auch, um so einen regen Austausch zu ermöglichen.
Den inhaltlichen Auftakt des wehrrechtlichen Kolloquiums gestaltete Rechtsanwalt Dr. Christian Richter, Hamburg, der zum Thema „Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine: Völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit und Neutralität“ bereits zu Beginn der Veranstaltung deutlich machte, wie aktuell die rechtlichen Themenfelder waren, die das Kolloquium zum Inhalt hatte. Der Vortrag bot einen Parforce-Ritt durch die Tatbestände des Römischen Statuts unter Einbeziehung der Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuches und machte deutlich, dass eine Konzentration auf die sogenannten „core crimes“ immer als Ausgangspunkt internationaler Strafverfolgung gesehen wurde. Richter verwies darauf, dass das Verbrechen der Aggression, die „supreme international crime“, zwar auch Bestandteil des Römischen Statuts ist, dieses klassische „Führungsverbrechen“ jedoch nicht als Rechtsgrund für die ausgesprochenen Haftbefehle gegen Wladimir Putin und Marija Lwowa-Belowa (russische Präsidialkommissarin für Kinder) diente, weil der Internationale Strafgerichtshof es lediglich dann verfolgen kann, wenn die Angriffshandlung aus einem Vertragsstaat herrührt, was vorliegend gerade nicht der Fall ist, sondern diese vielmehr aufgrund ihrer Verantwortung für die Deportationen ukrainischer Kinder nach Russland wegen Kriegsverbrechen im Fokus des Internationalen Strafgerichtshofs stehen. Der Aspekt der Neutralität wurde hier ebenfalls beleuchtet. Das klassische Konzept der Neutralität sei seit der Geltung des Gewaltverbots nicht mehr anwendbar. Gleichwohl stelle sich die Frage nach der Schwelle der Teilnahme als Kriegspartei – reiche hierfür die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland? Reichen gar umfangreiche Waffenlieferungen? Dr. Richter verwies darauf, dass die Beantwortung der Frage einer Beteiligung als Kriegspartei wohl statt im ius ad bellum vielmehr im ius in bello zu verorten sei. So müssten Feindseligkeiten stattfinden, beziehungsweise eine Teilnahme an solchen vorliegen, es müssten Kriegshandlungen vorgenommen werden und insbesondere eine Beteiligung auf der Entscheidungsebene sei nötig. Kompliziert werde dies beispielsweise bei der Mitteilung geheimdienstlicher Informationen durch einen unbeteiligten Drittstaat zur Verwendung in einem Targeting-Prozess einer der beteiligten Konfliktparteien. Hierzu wurde ausgiebig im Plenum diskutiert.
Hierauf folgte ein Vortrag des Staatsanwalts Dr. Eike Fesefeldt, Bundesanwaltschaft, Karlsruhe, der zum Themenfeld „(Völkerstraf-)Rechtliche Aufarbeitung des Krieges Russlands gegen Georgien (2008)“ vortrug. Er zog hierbei diverse Parallelen zu dem aktuellen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und lud das Thema auf diese Art und Weise mit einer besonderen Relevanz und Aktualität auf. Nach einer kurzen Einleitung gab Fesefeldt einen historischen Abriss des Kaukasuskriegs, bevor er dann zunächst einen zeitlichen Überblick über die Verfahren in diesem Zusammenhang gab und anschließend die völkerstrafrechtlich relevanten Handlungen definierte, um dann die verschiedenen – mit dem Konflikt befassten – Spruchkörper und ihre Entscheidungen vorzustellen. So war der Internationale Gerichtshof aufgrund des Antrags auf Verfahrenseinleitung von Georgien seit August 2008 mit dem Konflikt und seinen rechtlichen Folgen befasst, erließ im Oktober 2008 auch eine order, als einstweilige Maßnahme, bevor dann im April 2011 ein abweisendes Urteil erging, welches u.a. darauf abstellte, dass zunächst die Möglichkeiten der Diplomatie auszuschöpfen seien. Die Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus dem August 2008 endete mit einem Urteil im Januar 2021, mit welchem durch das Gericht festgestellt wurde, dass Russland für begangene unmenschliche Handlungen gegen georgische Bürgerinnen und Bürger verantwortlich war sowie einem Urteil mit einer Entschädigungsverpflichtung Russlands i.H.v. rund 130 Mio. Euro im April 2023. Auch der internationale Völkerstrafgerichtshof begann im August 2008 mit preliminary investigations, woraufhin 2016 ein Ermittlungsverfahren nach Art. 15 des Römischen Statuts eingeleitet wurde. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens wurden drei Haftbefehle erlassen, welche im Schwerpunkt mit weitflächigen Vertreibungen und mit Verfolgung („persecution“) begründet wurden. Das Ermittlungsverfahren wurde jedoch im Dezember 2022 unter dem Hinweis auf das Komplementaritätsprinzip eingestellt, da Russland eigene Strafverfolgungsbehörden vorhalte und diese auch in der Lage seien, die Vorkommnisse aufzuklären.
Im Anschluss an die beiden ersten Vorträge folgte – vor der Mittagspause – eine angeregte Diskussion im und mit dem Auditorium, in welcher die beiden gehörten Vorträge aufgegriffen und intensiv besprochen wurden. Die zahlreichen Fragen und Anmerkungen der Zuhörer zeigten deutlich, dass mit beiden Vorträgen aktuelle Themenstellungen gewählt worden waren und diese auch auf erhöhtes Interesse stießen. So wurde insbesondere die Frage eines Standards für Gefängnisse in Konflikten erörtert, ebenso wie die „legal obligation to obey“.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen, welches von vielen Teilnehmenden sowie den Vortragenden zum weiteren Austausch genutzt wurde, ging es mit dem sehr zeitgerechten Vortrag zum Thema „Aktuelle Rechtsfragen des Cyberraums“ von Oberregierungsrat Tyron Wangard, IT-Schule der Bundeswehr, Pöcking, weiter. Wangard legte kurz die Grundprinzipien dar und machte deutlich, dass die Übertragung dieser Grundprinzipien in den Cyberraum möglich, aber nicht immer einfach und eindeutig ist. Er hob insbesondere das Unterscheidungsgebot hervor, nach welchem sich Kombattanten deutlich von den Zivilisten unterscheiden sollten und Zivilisten – außer während einer aktiven Teilnahem an Kampfhandlungen – dem Schutz des humanitären Völkerrechts unterliegen. Herr Wangard machte hier deutlich, dass Beispiele aus der Praxis – wie der Aufruf der ukrainischen Regierung, eine private „Cyber-Armee“ aufbauen zu wollen – mit diesen Grundsätzen des humanitären Völkerrechts kollidieren und sich hieraus ganz neue Anwendungsfragen des (humanitären) Völkerrechts ergeben können. Als weiteres Beispiel wurde der Fall eines ukrainischen Bürgers benannt, der mithilfe seines Smartphones die benannte Cyber-Armee unterstützt, und die Frage, ob dieser schlicht aufgrund der Tatsache, dass er das entsprechende Smartphone bei sich trägt, ein legitimes Angriffsziel geworden ist, beziehungsweise wann und gegebenenfalls wie lange und unter welchen konkreten Voraussetzungen er ein solches legitimes Ziel wäre. Auch die Fragestellung der (humanitär-) völkerrechtlichen Einordnung eines „Hackers“ wurde thematisiert sowie aktuelle Anwendungsbeispiele benannt (Twitter – WarTok – Diia/E-Enemy – epPO – AirAlert).
Der cyberrechtliche Vortrag setzte ausreichende Anreize, sich in der anschließenden Diskussion teils kontrovers auszutauschen; diese Gelegenheit wurde von den Teilnehmern dankbar genutzt, um die spannenden Fragestellungen, nicht zwingend mit einem konkreten Ergebnis als Problemlösung, jedoch immer mit dem Bewusstsein um die Wichtigkeit des Themas, zu erörtern.
Abgerundet wurde das wehrrechtliche Kolloquium mit einem Thema, das entgegen der vorhergehenden Themen, welche sich schwerpunktartig mit (humanitär-) völkerrechtlichen Inhalten befassten, eher dem wehrrechtlichen Bereich zuzuordnen war: Regierungsdirektorin Swantje Kräber, BMVg, stellte unter dem Titel „Rechtliche Rahmenbedingungen für die Rehabilitierung homosexueller Soldaten“ das Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller Soldaten (SoldRehaHomG) vor und berichtete aus der entsprechenden Praxis der Anwendung dieses Gesetzes seit Inkrafttreten am 23.07.2021. Zunächst begann Kräber mit einer aktuellen Einordnung des Themas, indem sie deutlich machte, dass in Russland unter dem Oberbegriff der „Propagandadelikte“ aktiv queere Menschen verfolgt werden und machte deutlich, dass ein Minderheitenschutz immer auch Bestandteil von und Zeichen für eine funktionierende demokratische Rechtsstaatlichkeit ist. Zunächst wurde die Studie „Tabu und Toleranz“ vorgestellt, welche durch das BMVg initiiert wurde und historisch die Situation queerer beziehungsweise homosexueller Menschen in der Bundeswehr beleuchtet. Anschließend wurde die Rechtslage, welche sich aus dem ministeriellen Erlass vom 13.03.1984 ergab, dargestellt. Kräber verstand es sehr gut, die Auswirkungen dieses Erlasses in der Praxis deutlich zu machen und konnte so echtes Verständnis für die Wichtigkeit der entsprechenden Aufarbeitung aber auch der Wiedergutmachung schaffen. Anhand von einigen ausgewählten Beispielen wurde das Ausmaß der stattgefundenen Diskriminierung und Abwertung homosexueller Menschen in der Bundeswehr klar. Besagter ministerieller Erlass, der als (rechtliche) Grundlage flächendeckender Diskriminierung diente, wurde mit dem 3. Juli 2000 aufgehoben. Dieses Aufhebungsdatum wurde – wenngleich auch in der Praxis selbstverständlich nicht alle Diskriminierungen aufhörten – zum Stichtag für die Rehabilitation homosexueller Soldaten. Auch die am 17. September 2020 durch die damals amtierende Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer ausgesprochene Bitte um Verzeihung wurde – als wichtiger Bestandteil der Aufarbeitung geschehenen Unrechts – erwähnt. Nach kurzer, übersichtlicher Darstellung der Tatbestände (wehrdienstgerichtliche Verurteilung / sonstige dienstrechtliche Benachteiligung bis zum Stichtag) sowie dem entsprechenden Beweismaß (Glaubhaftmachung) wurde die entsprechende Entschädigung skizziert (pauschaliertes Entschädigungsmodell, jeweils 3.0000 Euro für eine wehrdienstgerichtliche Verurteilung oder eine sonstige dienstrechtliche Benachteiligung). Die Betroffenen erhalten jeweils eine Rehabilitierungsbescheinigung sowie die Entschädigungszahlung zur persönlichen Genugtuung (steuerfrei), wobei nach Einschätzung Kräbers gerade die Rehabilitierungsbescheinigung von besonders hoher Bedeutung für die Betroffenen war.
Die sich anschließende rege Diskussion machte deutlich, dass die Rehabilitierung homosexueller Soldaten zwar auf großes Interesse und breite Zustimmung im Auditorium stieß, die Neubewertung vergangener disziplinarer Sachverhalte unter Geltung des ministeriellen Erlasses vom 13.03.1984, jedoch bei manchem für Unbehagen sorgte, worauf Kräber mit dem treffenden Hinweis reagierte, man habe mit dem Gesetz nicht mit dem Finger auf Täter zeigen und Verantwortliche abstrafen, sondern vielmehr ein Zeichen in Richtung der Geschädigten setzen wollen und versuche, deren Leid und das ihnen widerfahrene Unrecht anzuerkennen.
Der Vorsitzende der DGWHV, Ministerialdirigent Sohm, beendete die Veranstaltung mit einem abschließenden Dank an die Organisatoren.