Jahrestagung 2016 der Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht e.V.
Multinationalität und Integration im militärischen Bereich – die wehrrechtliche Perspektive
Am 22. und 23. September 2016 veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht ihre Jahrestagung in Berlin. Gastgeber und Kooperationspartner der diesjährigen Jahrestagung war die Freie Universität Berlin. Thematisch orientierte sich die Tagung an operativ-praktischen, wehrverfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Aspekten im Zusammenhang mit der Integration und Multinationalität im Bereich nationaler und internationaler militärischer Strukturen. Schwerpunkt des angeregten Meinungsaustausches war, neben Fragen im Zusammenhang mit der operativen Durchführung multinationaler Operationen, insbesondere die wehrrechtliche Perspektive auf die in diesem Zusammenhang stetig wachsenden Herausforderungen.
Nach der offiziellen Eröffnung der Tagung und der Einführung in den Tagungsgegenstand durch den Vorsitzenden, Stefan Sohm, leitete der Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung, Gerd Hoofe, mit seinem Grußwort ein, in dem er aus Sicht der praktischen Verteidigungspolitik die Herausforderungen durch zunehmende Multinationalität und Integration auch im Hinblick auf die konzeptionellen Vorgaben des neues Weißbuchs zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr (2016) skizzierte und damit eine gute Grundlage für die im Nachgang vertieft zu behandelnden Einzelthemen bereitstellte.
Dr. Florian Seiller vom Deutschen Bundestag gab anschließend eine grundlegende historische Einführung zum Thema multinationale Streitkräftestrukturen und die europäische Integration auf militärischer Ebene. Sein umfassender und informativer Bericht zum Thema der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und ihre möglichen Entwicklungen und Perspektiven in Anbetracht aktueller Ereignisse gaben Anlass zu anregenden Diskussionen. Die Frage nach einer Europäischen Armee, bzw. inter-unionalen, einheitlichen Ansätzen einer Europäischen Verteidigungspolitik vor dem Hintergrund nationaler Souveränitätsfragen stellen wohl eine der spannendsten aktuellen sicherheitspolitischen und integrativen Entwicklungen der letzten Jahre dar.
Das Zusammenspiel der unterschiedlichsten Wehrrechtsordnungen beleuchtete dann Steven Hill, Legal Advisor and Director, Office of Legal Affairs der NATO aus der institutionellen Perspektive der NATO. Die aktuellen rechtlichen Herausforderungen lassen sich derzeit insbesondere im Rahmen der „Hybriden Kriegsführung“ und ihrer neuen, im Juli 2016 auf dem Warsaw Summit beschlossenen „Hybrid Warfare Strategy“ verorten. Besonders die Frage der Zurechnung (attribution) stellt eine der größten Herausforderungen dar. Aufgeworfen wurde in diesem Zusammenhang die Frage nach einem rechtlichen Standard der Zurechnung nicht-staatlichem Verhaltens zu staatlichen Institutionen. Bedeutung erlangt dies gerade auf den Gebieten der „Cyberwarfare“ und maritimer Operationen. Bei ersterem stellt sich immer zuerst die Frage nach einem ausreichend qualifizierten bewaffneten Angriff, bevor überhaupt die Frage der adäquaten Reaktion und des anwendbaren Rechts (humanitäres Völkerrecht oder Menschenrechte) behandelt werden kann. Aber auch ganz allgemein stellt sich aus operativer Sicht die wichtige Frage des anwendbaren Rechts in der jeweiligen Einsatzsituation, da nicht alle NATO-Mitgliedstaaten Mitglieder derselben völkerrechtlichen Verträge sind. Auch die Anwendbarkeit des jeweiligen nationalen Rechts stand im Raum der Diskussion.
Nach der anschließenden lebhaften Diskussion auch zu der Frage nach einer eigenständigen Haftung der NATO, wurde das Thema der EVU / Europäischen Armee erneut aufgegriffen von Prof. Dr. Sebastian Graf von Kielmansegg. Er fragte nach den Möglichkeiten und Grenzen de lege lata aus unionsrechtlicher Sicht. Gegenstand der Diskussion war insbesondere Artikel 42 (2) EUV als Anknüpfungspunkt für die Kompetenzgrenze. Mit Blick auf Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip als Indikatoren der rechtlichen Möglichkeiten des ambitionierten Projekts konnte der Schluss gezogen werden, dass die Schaffung echter europäischer Streitkräfte zwar derzeit noch nicht gewollt sei, die hieraus entstehende „capacity gap“ solle aber auf politisch-, kooperativer Ebene geschlossen werden.
Aus der nationalen, wehrverfassungsrechtlichen Perspektive beleuchtete dann Priv.-Doz. Dr. Roman Schmidt-Radefeldt das Thema der Akzessorietät völker- und verfassungsrechtlicher Grundlagen der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das Zusammenspiel der kollektiven Sicherheit und des Verfassungsrechts waren ebenso Thema der Diskussion wie ihr Verhältnis zum verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff. Im Zentrum der angeregten Diskussion stand die Frage nach der ausreichenden verfassungsrechtlichen Legitimation der Operationen der Bundeswehr. Insbesondere das Verhältnis von Artikel 24 und 87a GG als Rückgriff zur legitimatorischen Grundlage der Operationen scheint nicht immer ganz klar zu sein. Berücksichtigt man etwa den Rückgriff auf Artikel 87a GG im Rahmen der Operation Pegasus zur Rettung eigener Staatsangehöriger im Ausland, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit des Rückgriffs auf Artikel 87a als eigenständige Rechtsgrundlage. Zwar hat das Parlament auf Antrag der Bundesregierung (BT-Dr 18/6866) zur Rechtfertigung des Einsatzes der Bundeswehr in Syrien sich, neben der Resolution 2249 (2015) des UN-Sicherheitsrates, vorwiegend auf das System der kollektiven Sicherheit über Artikel 24 GG berufen, in seiner Begründung jedoch vorwiegend auf Artikel 51 UN-Charta und somit auf verfassungsrechtlicher Ebene faktisch stärker auf Artikel 87a zurückgegriffen. Die sich anschließende Frage der Wendung hin zur völkerrechts-akzessorischen Anwendung nationalen Rechts muss letztlich an den Grenzen des Wortlautes der Verfassung gemessen werden.
Mit den praktischen Folgerungen dieser Diskussionen auf wissenschaftlicher Ebene befasste sich am zweiten Tag der Jahrestagung insbesondere Regierungsdirektor Jochen Katze. Im Vordergrund der Diskussionen standen die Problematik der „Caveats“ bei multinationalen Einsätzen von Streitkräften und der praktische Umgang mit diesen nationalen Vorbehalten von Nationalstaaten auf operativer Ebene und im Rahmen von Einsatzregeln bei multinationalen Verbänden. Von besonderem Interesse war der Bericht aus dem Umgang der Praxis mit diesen Vorbehalten bei der Planung und Durchführung solcher Operationen. Letztlich können solche nationalen Vorbehalte ein wirksames Werkzeug sein, Staaten mit den unterschiedlichsten verfassungsrechtlichen Limitierungen möglichst effektiv an multinationalen Einsätzen zu beteiligen.
Dr. Paula Starski, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht griff anschließend erneut die Frage der Zurechnung bei multinationalen militärischen Einsätzen auf. Betrachtet man die Zurechnung als normative Operation, bedarf es einer juristischen Person als Zurechnungsobjekt auf völkerrechtlicher Ebene. Weitere Voraussetzung ist dann ein Handeln unter tatsächlicher Kontrolle des Zurechnungsobjekts. In den angeregten Diskussionen wurden die Fragen nach der Feststellung des Zurechnungsobjekts in Form der Internationalen Organisation oder des truppenstellenden Staates selbst besprochen. Die Frage, ob im Sinne der deutschen Gesamtschuldnerschaft das potentielle Opfer ein Wahlrecht der Entschädigung gegen die Internationale Organisation oder einen der truppenstellenden Nationalstaaten in multinationalen Operationen hat, die dann im Innenverhältnis Regress nehmen, wurde besonders intensiv diskutiert.
Zum Abschluss der Tagung gaben Regierungsdirektor Dr. Felix Arndt, Verwaltung Deutscher Bundestag und Chris Gutmann, Humboldt-Universität Berlin einen interessanten Einblick in den Willenbildungsprozess bei der Parlamentsbeteiligung in Hinblick auf militärische Operationen der Bundeswehr im Ausland und einen ebenso interessanten rechtsvergleichenden Überblick über diesen Prozess in anderen NATO-Staaten.
Ein Höhepunkt der Jahrestagung war erneut die Verleihung des Helmuth-James-von-Moltke-Preises für herausragende Dissertationen. Der Preis ging dieses Mal an zwei Personen. Einmal an die Dissertation von Frau Christiane Oehmke mit dem Titel: Der Einsatz privater Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen zur Abwehr gegen Piraterie – eine Analyse unter Aspekten des Völkerrechts und des deutschen Rechts.
Zum anderen an die PhD-Arbeit von Tilman Rodenhäuser zu dem Thema: Armed Groups under International Humanitarian Law, Human Rights Law an International Criminal Law: What Degree of Organisation is Required?
Nach der umfassenden Würdigung der Arbeiten durch die Jury gab einer der Preisträger, Tilman Rodenhäuser, noch einen persönlichen Überblick über die von ihm angefertigte Arbeit. Der Fokus der Vorstellung der Arbeit mit dem hochaktuellen Thema “Armed Groups under International Humanitarian Law, Human Rights Law and International Criminal Law: What Degree of Organisation is Required?” lag auf den Kriterien des Organisationsgrades bewaffneter organisierter Gruppen und gab einen interessanten definitorischen Einblick in die Kategorisierung dieser Akteure unter internationalem Recht.
Insgesamt verdeutlichte die diesjährige Jahrestagung der DGWHV die rechtliche und praktische Komplexität multinationaler militärischer Operationen. Sie zeigte den Bedarf an der Bewältigung aktueller bestehender Herausforderungen wie dem Umgang mit Vorbehalten verschiedener Operationspartner in multinationalen Einsätzen oder einer abschließenden Klärung der Haftungsproblematik und -verteilung auf. Dies insbesondere auf institutioneller Ebene. Der Tagung gelang es auch ein höheres Maß an Rechtssicherheit für diese Themenfelder zu schaffen und war schon deshalb ein großer Gewinn für die Beteiligten und die sich ihr anschließenden wissenschaftlichen Diskussion. Es lässt sich also trotz der – diesjährigen verbesserungswürdigen Teilnehmerzahl – eine durchweg positive Bilanz der Jahrestagung ziehen.