vom 22. bis 23. September 2022, Freie Universität Berlin
Streitkräfte im Wandel von Gesellschaft und Sicherheitspolitik
von Buket Inalöz
Die diesjährige Tagung der Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht e.V. (DGWHV) fand vom 22. bis 23.09.2022 erneut an der Freien Universität Berlin statt und wurde vom Vorstand der Gesellschaft, Ministerialdirigent Stefan Sohm, eröffnet. Der Fokus lag in diesem Jahr auf dem Angriffskrieg Russlands und den damit verbundenen Fragestellungen, die sich im Kontext der aktuellen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ergeben.
Nach der Eröffnung sprach zunächst Staatssekretärin Dr. Margaretha Sudhof am Mittag das Grußwort und unterstrich die besondere Bedeutung des Rechts in den Streitkräften, welches auch aus Sicht der militärischen Führung als zentrales Fundament der Auftragserfüllung gesehen werde. Daneben stellte sie die aktuellen Modernisierungsvorhaben des Beschaffungswesens, zu denen auch das neue Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz gehört, vor. Hierdurch können Vergabeverfahren für Militärausrüstung nun effizienter abgeschlossen werden und auch das jüngst errichtete Sondervermögen (Art. 87a Abs. 1a GG) schneller in der Truppe ankommen. Aktuelle Themen mit denen sich das BMVg außerdem beschäftigt, sind die Übertragbarkeit der Anwendung des Völkerrechts bei Autonomen Waffensystemen und Künstlicher Intelligenz, wobei das Bundesministerium der Verteidigung ein Mindestmaß menschlicher Kontrolle fordere, sowie das Etablieren der rechtlichen Handlungssicherheit in der Landesverteidigung.
Im Anschluss begrüßte die Moderatorin des ersten Tages, Prof. Dr. Heike Krieger (Freie Universität Berlin), den ersten Vortragenden der Veranstaltung, Prof. Dr. Roman Yedeliev von der Universität Kiew. Dieser stellte Überlegungen an zu der Frage „Would international law overcome impunity this time?“ und verdeutlichte die Wichtigkeit des Völkerrechts mit den Worten „international law is the most powerful weapon Ukraine has in it‘s arsenal“. Er beendete seine Ausführungen mit der Frage, ob es eine Alternative zum IStGH geben müsse, um das Völkerrecht auch dort durchzusetzen, wo Kriegsparteien nicht Mitgliedsstaaten des Römischen Statuts sind.
Es folgte ein spannender Vortrag zum Thema „Neutralität und Angriffskrieg – Überlegungen zur aktuellen Bedeutung des Neutralitätsrechts“ von Prof. Dr. Stefan Talmon von der Universität Bonn. Hierbei ging es um die Rolle Deutschlands im Angriffskrieg Russlands und die zu Beginn des Kriegs viel diskutierten Frage, ob Deutschland durch die Waffenlieferungen gegen das Neutralitätsrecht verstoßen hat. Ein solcher Verstoß könne von einer Kriegspartei mit Gegenmaßnahmen und gewaltsamen Repressalien und in letzter Konsequenz mit der Behandlung als Kriegspartei geahndet werden. Im modernen Völkerrecht schließe aber die eindeutige Identifizierung des Aggressors die Anwendung des Neutralitätsrechts mit seiner Pflicht zur Unparteilichkeit aus, und die Beziehungen der nicht kriegführenden und kriegführenden Staaten werde weiterhin durch das Friedensrecht geregelt, welches den Staaten im Rahmen ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit erlaube, Waffen und anderes Kriegsmaterial an andere Staaten zu liefern. Prof. Talmon schloss seinen Vortrag mit den Worten „Waffenlieferungen an den rechtswidrig angegriffenen Staat sind somit das Mindeste, was Deutschland und andere Staaten angesichts der Untätigkeit des Sicherheitsrats zur Wahrung und Wiederherstellung des Weltfriedens und zur Verteidigung der Völkerrechtsordnung tun können“.
Nachmittags trug Prof. Dr. Jelena von Achenbach von der Universität Gießen zum Thema „Der Ukraine-Konflikt und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU“ vor und erläuterte, dass die EU-Sicherheitspolitik in den Fokus rücke, die Union eigene Verteidigungsstrukturen aufbaue und ein effektiveres militärisches Handeln das Ziel der neuen GSVP sei.
Anschließend berichtete David Bäuerle, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof, über die Arbeit der Völkerstrafrechtsreferate der Generalbundesanwaltschaft. Eines der neuen Referate wird die Kriegsverbrechen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bearbeiten. Hierzu wird bereits ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren geführt. Dabei geht es zunächst darum, ohne konkrete Beschuldigte möglichst breit Beweise zusammenzutragen, die später dazu dienen, Einzelakteure strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Als wertvollstes Beweismittel dienten aktuell die Zeugenvernehmungen, die mit den geflüchteten Ukrainern durchgeführt werden.
Nach der anschließenden Diskussion und zum Abschluss des ersten Tages wurde der Helmuth-James-von-Moltke-Preis für herausragende Dissertationen verliehen. Dieses Jahr erhielt Dr. Alexander Wentker den Preis für seine Arbeit zum Thema „Party Status to Armed Conflict in International Law“, welche er noch vor dem 24.02.2022 beendet hatte, aber bereits eine der zentralen Fragen seit Kriegsbeginn, nämlich welche Handlungen einen Staat zur Kriegspartei macht, behandelt. Nach der Überreichung der Urkunde durch den Vorsitzenden der DGWHV, Ministerialdirigent Sohm, stellte der Preisträger seine Dissertation vor.
Unter der Moderation von Prof. Dr. Paulina Starski (Universität Freiburg) wurde der zweite Konferenztag mit einem Vortrag von Oberst i.G. Dr. Burkhard Köster vom Zentrum Innere Führung zum Thema „Innere Führung: Ursprünge, Wandel und aktuelle Herausforderungen“ eröffnet. Angefangen von Wolf Graf von Baudissin über die Himmeroder Denkschrift bis hin zum Ukraine-Krieg führte Oberst i.G. Dr. Köster den Zuhörenden vor Augen, dass Innere Führung mehr ist als „Menschenführung“; Soldaten müssten vielmehr erkennen, wie wichtig es ist, für die eigenen Werte einzustehen.
Ministerialrat Dr. Marcus Korte vom Bundesministerium der Verteidigung unterrichtete die Teilnehmenden sodann über die „Aktuellen Entwicklungen des Dienst- und Disziplinarrechts“ indem er zwei wesentliche Themen, die Novellierung der WDO, sowie die Entlassung von Extremisten aus der Bundeswehr, in den Fokus rückte. Zwar habe sich die WDO grundsätzlich bewährt, allerdings soll getreu dem neuen Leitsatz „Schneller.Einfacher.Effektiver.“ auf die von der Wehrbeauftragten im Jahresbericht hingewiesene überlange Verfahrensdauer, u.a. durch eine Ausweitung der Disziplinargerichtsbescheide sowie eine Anpassung der Berufungsfrist an die Regelungen in den §§ 314, 317 StPO, eingewirkt werden. Bei den Möglichkeiten zur schnelleren Dienstbeendigung von Extremisten käme insbesondere das Einfügen eines weiteren Tatbestandsmerkmals in die bereits bestehende Entlassungssystematik für Berufssoldaten in § 46 SG in Betracht.
In der anschließenden Diskussion wurde ferner die hohe Relevanz von weiteren Sicherungsmechanismen in Bezug auf die Einstufung eines Soldaten als Extremist sowie die geplante Entlastung der Wehrdisziplinaranwaltschaften thematisiert.
Prof. Dr. Christian Bickenbach von der Universität Potsdam trug zum Thema „Die politische Treuepflicht des Staatsbürgers in Uniform – Umgang mit Extremisten in den Streitkräften“ vor und stellte unter Bezugnahme auf das Beamtendisziplinarrecht dar, warum bei Soldaten ein strengerer Maßstab anzulegen und bei Verletzung der politischen Treuepflicht die Höchstmaßnahme gerechtfertigt sei.
Regierungsdirektorin Kerstin Maaß vom Karrierecenter der Bundeswehr Kiel führte abschließend zum Thema „Streitkräfte und Wehrverwaltung – Soldaten und zivile Beschäftigte: funktionale Arbeitsteilung oder Trennungsparadigma?“ verfassungsrechtliche Bedenken bei der Verwendung von Soldaten in Leitungsfunktionen in der Verwaltung an und plädierte dafür, dass dies nur in Ausnahmefällen geschehen solle. Auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Dresdner Erlasses sei der rechtliche Status der Soldaten, die in der Wehrverwaltung eingesetzt werden, als problematisch zu bezeichnen.
Nach der Diskussionsrunde beendete Ministerialdirigent Sohm die sehr gelungene Veranstaltung.