Wehrrechtliches Kolloquium 2024

Wehrrechtliches Kolloquium mit aktuellen Themenstellungen am 14.11.2024 in Mannheim

Bei dem von der Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht e.V. (DGWHV) am 14.11.2024 an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung – Fachbereich Bundeswehrverwaltung – veranstalteten wehrrechtlichen Kolloquium wurden vier Themen behandelt, die zunächst in Vorträgen präsentiert und anschließend in Diskussionen erörtert wurden. Das Kolloquium, organisiert hauptsächlich von Professor Dr. Philipp-Sebastian Metzger und Ministerialrat Dr. Christian Raap, bietet als neueres Format der DGWHV zusätzlich zu den regelmäßig alle zwei Jahre durchgeführten Jahrestagungen eine Möglichkeit für Weiterbildung, Information und Austausch.

Zunächst begrüßte der Vorsitzende der DGWHV, Ministerialdirigent Stefan Sohm, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Er betonte die Aktualität der Themen – so sei es nicht nur im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine etwa wichtig, dass völkerrechtliche Fragen über die Ebene abstrakter Diskussionen hinausgingen.

In diesem Sinne machte Dr. Heike Spieker vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) mit ihrem Vortrag zum Thema „75 Jahre Genfer Abkommen“ den inhaltlichen Auftakt des Kolloquiums. Spieker begann mit einer kurzen historischen Einleitung, in der sie ausführte, dass die Genfer Abkommen auf der Idee des Schweizer Geschäftsmannes Henry Dunant beruhten. Dieser war 1859 in Solferino in Norditalien Zeuge einer Schlacht zwischen Österreichern, Franzosen und Italienern geworden, in deren Folge rund 40.000 Opfer unversorgt auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben waren. 1862 regte Dunant daraufhin in seinem Buch „Eine Erinnerung an Solferino“,„irgendeine internationale, rechtsverbindliche und allgemein hochgehaltene Übereinkunft zu treffen“. . Wenngleich diese Anregungen auf großes Interesse auch weit über die Schweiz hinaus stießen und zum Abschluss der Genfer Konvention von 1864 führten, sollte es noch annähernd hundert Jahre bis zur Unterzeichnung der Genfer Abkommen von 1949 dauern: Am 12.08.1949, noch ganz unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges, wurden diese als allgemeine rechtsverbindliche zwischenstaatliche Übereinkunft abgeschlossen.

Heute erfreuten sich die mittlerweile um Zusatzprotokolle ergänzten Genfer Abkommen einer universellen Akzeptanz, so Spieker. Gleichwohl habe sich bereits 2009 anlässlich des 60-jährigen Jubiläums die Frage gestellt: Sind die Genfer Abkommen noch geeignet, um den Herausforderungen der Zeit zu begegnen? Im Jahr 2024, 75 Jahre nach Abschluss der Genfer Abkommen, müsse man sich dies angesichts der Weltlage umso dringender fragen – oder gelte mittlerweile der alte Grundsatz „Im Krieg gibt es kein Recht“?

Andererseits sei es vor 75 Jahren eben u.a. erstmals gelungen, den Schutz von Zivilpersonen und Gesundheitseinrichtungen zu regulieren. Daher stellten die Genfer Abkommen ihrer persönlichen Einschätzung nach eine Zäsur gegenüber dem Rechtszustand von vor 1949 dar. Sie entfalteten somit nicht lediglich eine Signalwirkung, sondern auch eine praktische Wirkung – folglich, so könne man bilanzieren, seien sie nicht perfekt, aber notwendig.

In Bezug auf die nächsten 75 Jahre sei schon viel gewonnen, wenn die internationale   Staatengemeinschaft weiterhin die Frage zu beantworten versuchen würde, wie die Einhaltung und die Anwendung der Genfer Abkommen verbessert werden könnten, so Dr. Spieker. Leider fehle teilweise die Bereitschaft anzuerkennen, dass eine bessere Einhaltung des Humanitären Völkerrechts allen nutzen würde. Dabei gehe es insgesamt darum, dessen Bindungswirkung und Einhaltung sowie die Durchsetzung der Beachtung zu verbessern. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die Schutzstandards des Humanitären Völkerrechts abgesenkt würden. Die internationale Staatengemeinschaft müsse derartigen Tendenzen entschieden und aktiv entgegenwirken, indem immer wieder die Einhaltung angemahnt werde. Darin liege ein wichtiger Handlungsauftrag für das DRK, die Staatengemeinschaft, aber auch für jede und jeden. „Ein Krieg ohne Regeln kann keine Option sein!“, so Spieker. Die Impulse wurden anschließend im Plenum diskutiert.

Es folgte ein Vortrag von Regierungsdirektorin Swantje Kräber(BMVg) zum Thema: „Der neue Entlassungstatbestand wegen Extremismus im Soldatenrecht“. Sie begann mit einer kurzen Erläuterung des Bedarfs für die neue Regelung nach § 46 Abs. 2a i.V.m. §§ 47, 47a, 55 Abs. 1 Soldatengesetz (SG). Mit dem neuen Entlassungstatbestand sei ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP entsprechend dem Grundsatz „Null Toleranz für Extremisten“ umgesetzt worden. Allerdings sei in dem aktuellen Bericht der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle des BMVg lediglich von etwa einem Dutzend anerkannter Extremisten in der Bundeswehr die Rede, sodass die Zielgruppe des Tatbestandes eher klein sei. Das Meldewesen der Bundeswehr habe in diesem Zusammenhang keine regionalen Unterschiede ergeben. Mögliche Gründe für eine etwaige Radikalisierung von Soldatinnen und Soldaten könnten Kräber zufolge in einem Brennglaseffekt aktueller Krisen wie den Kriegen in der Ukraine und in Gaza liegen. Daraufhin stellte Kräber die Ausgangslage vor Einführung des neuen Tatbestandes dar, als nach § 55 Abs. 5 SG nur Soldatinnen und Soldaten auf Zeit innerhalb der ersten vier Dienstjahre statusrechtlich entlassen werden konnten. Für Berufssoldatinnen und Berufssoldaten bot sich diese Möglichkeit nicht, deren Entlassung wegen Extremismus musste über langwierige gerichtliche Disziplinarverfahren angestrengt werden. Bis zu einer rechtskräftigen Entlassung verblieb die Berufssoldatin bzw. der Berufssoldat im Dienstverhältnis; es bestand lediglich die Möglichkeit, ein vorübergehendes Verbot der Dienstausübung nach § 22 SG auszusprechen oder eine vorläufige Dienstenthebung als Nebenentscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren über § 126 Abs. 1 Wehrdisziplinarordnung zu verhängen. Hier komme nun der neue Entlassungstatbestand ins Spiel, da er als gebundene Entscheidung bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen die sofortige Entlassung vorschreibe, so Kräber. Die Reichweite des Tatbestandes sei allerdings durch enge Voraussetzungen beschränkt. Nach § 46 Abs. 2a Nr. 1a) SG ist ein Berufssoldat zu entlassen, wenn er als Einzelperson in schwerwiegender Weise Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben. Gemäß Nr. 2 muss sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis zudem die militärische Ordnung oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ernstlich gefährden. Die Voraussetzungen von Nr. 1 und 2 müssen mithin kumulativ vorliegen. Die Definition von gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen sei an § 4 Bundesverfassungsschutzgesetz angelehnt, wie Kräber ausführte. Aufgrund der harten Konsequenzen sei in § 47 SG ein umfangreicher Anspruch auf rechtliches Gehör vorgesehen, so Kräber weiter. Hier zog sie Parallelen zur Anhörung vor Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens sowie vor Anschuldigung beim zuständigen Truppendienstgericht. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren werde dadurch vor den wesentlichen Verfahrensschritten rechtliches Gehör gewährt. Die feststellbare Parallele sei gerechtfertigt, schließlich hätten Rechtsmittel gegen die Entlassung auf Grundlage des neuen Tatbestandes auch keine aufschiebende Wirkung. Insgesamt fiel das Fazit Kräbers gemischt aus. In seiner Stellungnahme während der Ressortabstimmung betonte der Deutsche Bundeswehrverband e.V., dass mit dem neuen Entlassungstatbestand ein Generalverdacht gegen die fest auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Mehrheit des militärischen Personals interpretiert werden könnte. Zudem sei zu erwägen, ob nicht mit Blick auf die geringen Zahlen anerkannter Extremisten der „steinige Weg des Disziplinarverfahrens“ zumutbar wäre, so Kräber. Insgesamt bleibe abzuwarten, wie sich das Bundesverwaltungsgericht zu dem neuen Tatbestand und den durch diesen aufgeworfenen Fragestellungen positioniere. Es sei zwar noch keine gerichtliche Entscheidung auf dessen Grundlage ergangen, allerdings sei zu erwarten, dass – entsprechend den Voraussetzungen für eine Entlassung im gerichtlichen Disziplinarverfahren wegen Verstoßes gegen die politische Treuepflicht nach § 8 SG – eine verfassungsfeindliche Gesinnung gefordert werde. Auch diesem Vortrag folgte eine rege Diskussion, bei der unter anderem über den Bedarf für den neuen Entlassungstatbestand diskutiert wurde. Kräber betonte, dass dieser vor dem Hintergrund des äußerst langwierigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen den bekannten Extremisten und einstigen Oberleutnant der Bundeswehr Franco A. geschaffen worden sei. Aufgrund des lange andauernden Strafverfahrens und der Aussetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss habe man die Notwendigkeit erkannt, auch Berufssoldatinnen und Berufssoldaten im Ausnahmefall statusrechtlich entlassen zu können. Teilweise wurde eingewendet, dass die Verwaltungsgerichte im Rechtsmittelverfahren gegen eine etwaige statusrechtliche Entlassung das Verfahren meist ebenfalls unter Verweis auf noch nicht abgeschlossene Strafverfahren aussetzten.

Im Anschluss folgte ein Vortag von Professor Dr. Philipp-Sebastian Metzger von der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung, der sich mit den gesetzlichen Befugnissen der Feldjägertruppe, insbesondere mit dem Entwurf des neuen § 29b SG als Teil des Gesetzes zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft, beschäftigte. Die Norm soll in ihrer neuen Fassung die Datenverarbeitung durch die Feldjäger auf eine rechtssichere Basis stellen. Metzger beleuchtete die damit verbundenen Herausforderungen. Nach einer Darstellung der aufgelisteten Anlässe für die Datenverarbeitung, die im Wesentlichen dem Aufgabenspektrum der Feldjägertruppe entsprechen, wurden die verschiedenen zu verarbeitenden Datenkategorien thematisiert. Es wurde deutlich, dass – entgegen dem Anschein, den die Norm beim ersten Lesen erweckt – die Datenverarbeitung weitgehend auf Freiwilligkeit beruhen muss. So stellen die Feldjäger keine Polizei im sicherheitsrechtlichen Sinne dar, sie können folglich nicht in einem mit einer Polizeibehörde vergleichbaren Ausmaß gegen den Willen der betroffenen Person deren Daten erheben und verarbeiten. Weiterhin wurde auf das Risiko hingewiesen, die Bestimmung bisheriger Aufgaben der Feldjägertruppe durch die Schaffung unbestimmter Rechtsbegriffe in die Deutungshoheit der Rechtsprechung zu verlagern. In der sich anschließenden lebhaften Diskussion wurde dieser Punkt aufgegriffen und die Frage aufgeworfen, inwieweit derartige Probleme nicht mit einem neuen Streitkräfteaufgabengesetz, jedenfalls aber mit einem Militärpolizeiaufgabengesetz, adressiert werden könnten. Da sich ein eigener Absatz daneben mit militärischen Evakuierungsmissionen auseinandersetzt, wurde außerdem über die Frage diskutiert, inwieweit der Bedarf für die entworfene Regelung tatsächlich aus der militärischen Realität abzuleiten ist. Einigen Stimmen erschien dies zweifelhaft, da Evakuierungsoperationen in der Regel in einem hochdynamischen Umfeld und unter Zeitdruck stattfänden, deshalb oft langwierige Datenerhebungen praktisch gar nicht möglich seien. Diese Stimmen des Plenums sahen daher keine Notwendigkeit für eine entsprechende Regelung.

Abschließend stellte Regierungsdirektor Ulrich Lucks (BMVg) den Stand des aktuellen Gesetzgebungsvorhabens zum neuen Wehrdienst dar. Er wies eingangs darauf hin, dass mit einer unveränderten Weiterbearbeitung des Gesetzentwurfs aufgrund der nunmehr außerplanmäßig anstehenden Neuwahlen des Deutschen Bundestages im Februar 2025 nicht mehr zu rechnen sei und dieses somit wohl eher in die „Annalen der Rechtsgeschichte“ eingehen dürfte. Unabhängig hiervon gewährten die Ausführungen einen interessanten Einblick in die Arbeit der mit dem Entwurf befassten Kolleginnen und Kollegen, konkret in die mit der Etablierung eines neuen Wehrdienstes verbundenen rechtlichen und tatsächlichen Herausforderungen. Die mit der Ausgestaltung eines neuen Wehrdienstmodells grundsätzlich verbundenen Fragen verlieren schließlich nicht durch einen etwaigen Stillstand dieses Gesetzgebungsverfahrens ihre Relevanz; dürfte die Bundesrepublik Deutschland doch mit Blick auf die sicherheitspolitische Zeitenwende auch in Zukunft in der einen oder anderen Form auf einen solchen Dienst angewiesen sein, um ein funktionierendes Wehrersatzwesen gewährleisten sowie  die angestrebte Aufwuchsfähigkeit sicherstellen zu können. An den Lucks‘ Ausführungen wurde deutlich, dass die Ausrichtung eines derartigen Dienstes vor allem im Hinblick auf etwaige verpflichtende Elemente aufgrund der sehr unterschiedlichen Sichtweisen der Regierungsparteien eine besondere Herausforderung darstellte. Neben politischen roten Linien und – gerade wegen der mit dem Gesetz angestrebten personellen Bedarfsdeckung – drängenden Fragen der Wehrgerechtigkeit waren die ursprünglich angedachten Regelungen über eine verpflichtende Heranziehung zum Wehrdienst politisch nicht durchsetzbar. Bei einer Neuausrichtung des Wehrdienstes ist die Umsetzung des Gesetzes durch die Verwaltung eine besondere Herausforderung. Anders als in Zeiten vor Aussetzung des Grundwehrdienstes (die Wehrpflicht steht seither unter dem Anwendungsvorbehalt des Spannungs- und Verteidigungsfall) und Abschaffung der Kreiswehrersatzämter als Ortsbehörden verfügen die Wehrersatzbehörden über deutlich geringere Personalkapazitäten. Ferner ist die gestiegene Bedeutung des Datenschutzes bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Bestimmungen seit Aussetzen der Wehrpflicht bekanntermaßen nicht stehengeblieben. Lucks schilderte anschaulich, dass die Etablierung eines neuen Wehrdienstes die Anpassung bzw. Wiederbelebung alter Normen (z.B. im Wehrpflichtgesetz) und die Beschäftigung mit Rechtsprechung und Fachliteratur erfordere, die man vor langer Zeit in der Überzeugung, sie nicht mehr zu Rate ziehen zu müssen, beiseitegelegt habe. Insgesamt erscheint es durchaus bedauerlich, dass es nun vorerst nicht zu einer Modernisierung der Wehrerfassung kommen wird, denn diese sei angesichts der neuen Bedrohungslage weiterhin dringend erforderlich. Mit Lucks‘ Vortrag endete die Veranstaltung und die Teilnehmenden brachen nach der Verabschiedung durch die Gastgeber bereichert durch interessante Einblicke aus den Beiträgen und Pausengesprächen wieder in die verschiedenen Teile Deutschlands auf.

Oberregierungsrätin Leonie Belk und Oberregierungsrat Dr. Matthias Keller